29
Jul
2021
13:18 PM

Buchrezension „Die Sprache des Lichts“ und Interview mit der Autorin Katharina Kramer

Katharina Kramer hat einen historischen Roman geschrieben, in dem die Hauptperson synästhetische Fähigkeiten besitzt. Matthias Waldeck hat das Buch für uns rezensiert und die Autorin zu ihrer Idee befragt.

Auf der Suche nach der Ursprache

Europa 1582 – Religionskriege durchziehen den Kontinent. Katholiken, Protestanten und andere religiöse Gruppen kämpfen gegeneinander. Dies ist der Hintergrund in Katharina Kramers außergewöhnlichem historischen Roman „Die Sprache des Lichts“. Man merkt ihrem Erstlingswerk an, das es auf fundierten Erkenntnissen geschrieben wurde. Den meisten Kapiteln hat Kramer im Anhang historische Erläuterungen beigefügt.

Wie der Titel des Buches andeutet, steht die Sprache im Vordergrund der Geschichte. Jacob Greve, Lehrer einer protestantischen Landesschule in Pforta, liebt Sprachen. Jede hat für ihn eine eigene Farbe, Spanisch sieht wie grüne Wellen aus, Latein schillert wie roter Wein. Auch Buchstaben empfindet er als Farben. Diese Synästhesie, eine besondere Begabung, lässt ihn die Sprachen leichter erlernen. Aber Jacobs Gemütszustand wird manchmal durch sein überempfindliches Gehör getrübt, wenn zu viel Geräusche auf ihn einwirken, gerät er in eine Art Schockstarre. Außerdem empfindet er Sprachfehler anderer als Schmerzen. Als Jacob wieder einmal zusammenbricht, fasst er den Entschluss, aus dieser Lehranstalt zu fliehen. Er begibt sich auf eine abenteuerliche Reise nach England, wo er dem Astronomen John Dee das Buch Soyga, das die codierte Ursprache enthalten soll, stiehlt. Aufgrund eines Hinweises in diesem Werk führt sein weiterer Weg in die Pyrenäen, um dort die Pfeifsprache der Hirten zu entschlüsseln. Jacobs Talent fällt auf, die Übersetzerin und Spionin Margarète Labé und der zwielichtige Alchemist Edward Kelley schließen sich ihm an, um von seinen Erkenntnissen zu profitieren.

Man merkt dem Roman an, dass Katharina Kramer Sprachen liebt. Vielfältige Informationen über die Sprache werden in die Geschichte eingearbeitet, damalige Rätsel der Kryptologie dargestellt und der Versuch, der Ursprache näher zu kommen, anschaulich beschrieben. Besonders die Figur Jacob Greve wird von der Autorin ambivalent gestaltet. Nicht nur seine synästhetischen Fähigkeiten, die ihn manchmal in Gefahr bringen, werden gut beschrieben, auch seine Weltfremdheit und sein etwas kindliches Gemüt.

Katharina Kramer hat einen spannenden Roman geschrieben, der ohne große Schnörkel die Handlung darstellt und deshalb gut zu lesen ist. Vor allem bei dramatischen Szenen, wie dem Hexensabbat, formuliert sie so gekonnt, dass man das Geschehen wie einen Film vor seinem inneren Auge ablaufen sieht. Wer Spannung und Information zugleich sucht, der hat das richtige Buch in der Hand.

„Die Sprache des Lichts“, Droemer-Verlag 2021, ISBN 978-3-426-28241-0

Fragen an die Autorin

Frau Kramer, sind Sie selber Synästhetin?

Nein, aber ich finde diese Sinnesverknüpfung sehr interessant.

Der Titel Ihres historischen Romans „Die Sprache des Lichts“ verrät schon ein wenig, dass es nicht nur um historische Begebenheiten geht, sondern dass Aspekte der Sprache in den Vordergrund rücken. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Das ergab sich langsam, Schritt um Schritt. Ich habe ja Englisch und Französisch studiert und war von daher am Thema Fremdsprachen interessiert. Als Wissenschaftsjournalistin hatte ich die Schwerpunkte Linguistik, Kognition und Evolution. In dem Zusammenhang berichtete ich auch über die Suche nach der Ursprache; und zwar in dem Sinne, dass Linguisten durch Sprachstammbäume und Wortrekonstruktionen die erste Sprache der Menschheit wiederfinden wollen. Und am Rande meiner Recherchen stieß ich auf die Suche nach der Sprache, mit der Gott die Welt erschuf, die vor allem im 16. Jahrhundert betrieben wurde. Das fand ich sehr spannend, dass es wirklich einmal Menschen gab, die nach dieser Sprache suchten.
Und dann habe ich an einem Wochenende, an dem ich Langeweile hatte (was für ein Luxus; passiert mir heute kaum noch), an einem Seminar zum Drehbuchschreiben teilgenommen, obwohl ich eigentlich gar kein Drehbuch, sondern wenn überhaupt, vielleicht einmal einen Roman schreiben wollte. Und für dieses Seminar sollten wir am Samstagabend einen Plot entwerfen. An dem Abend gab es auf arte eine Doku über John Dee, den Hofalchemisten von Königin Elisabeth I von England und dessen Suche nach der Gottessprache. Ich fand das einen wunderbaren Stoff für einen Roman, weil das Thema „Fremdsprachen“ so eine ganz andere Tiefe bekam, eine transzendente und existenzielle Note. Also habe ich mich gleich hingesetzt und den Plot skizziert: von einem einsamen Polyglotten, der sich auf die Suche nach der Ursprache begibt, dabei in Lebensgefahr gerät und … mehr verrate ich nicht ;-). Im Groben ist der Plot so bestehen geblieben.

Jacob Greve, die Hauptperson im Roman, versehen Sie mit synästhetischen Eigenschaften, die vorwiegend sprachliche Eigenschaften beinhalten. Wann haben Sie das erste Mal von der Synästhesie gehört?

Das weiß ich gar nicht mehr! Ich weiß nur noch, dass ich Jacob, als ich ihn damals ersann, sehr schnell mit Synästhesie ausgestattet habe und dass ich die Synästhesie zu diesem Zeitpunkt noch nicht lange kannte. Ich erinnere, wie verblüfft ich war, als eine der ersten, der ich von Jacobs Synästhesie erzählte, sogleich sagte, dass sie Buchstaben in Farben sieht. Bis dahin hatte ich keine SynästhetInnen bewusst kennengelernt.

Wie haben Sie sich über die Synästhesie informiert?

Ich habe viele Bücher und Abhandlungen zum Thema gelesen und Dokus gesehen oder Audios dazu gehört. Mich hat immer beeindruckt, wie anschaulich und auch wie beglückt SynästhetInnen über ihre Sinneseindrücke sprechen. Auch hat es mich erstaunt, wie viele verschiedene Formen von Synästhesie es gibt und wie unterschiedlich diese Formen wiederum jeweils ausgeprägt sind. Ich weiß noch, dass ich eine BBC-Sendung mit James Wannerton gehört habe und nicht fassen konnte, dass er Töne als Geschmack auf der Zunge erlebt.

Was war der Anstoß, Jacob mit synästhetischen Eigenschaften zu versehen?

Dafür gab es zwei Hauptgründe. Zum einen ist Jacob ein sehr begabter Polyglotter. Um so gut zu sein, braucht es ein hervorragendes Gedächtnis, ein solides strukturelles Verständnis von Grammatik und ein sehr gutes Ohr. Und da fand ich, dass die Synästhesie sehr gut passt. Jacob habe ich mit mehreren Formen von Synästhesie versehen: Geräusch-Farb-Synästhesie (ein Geräusch, wie z.B. ein Sprechlaut, löst ein bestimmtes Bild aus); Musik-Farb-Synästhesie (ein Ton löst immer dieselbe Farbe aus; das ist bei Jacob auch mit einem absoluten Gehör verbunden); Geruch-Geräusch-Synästhesie (ein Geruch löst einen bestimmten Ton aus; Jacob hat das nur bei sehr markanten Gerüchen). Diese Synästhesien steigern Jacobs Gedächtnisleistung und unterstützen seine akustischen Eindrücke durch optische. Die Synästhesie dient also dazu, seine Sprachbegabung plausibler und auch für den Leser eindrücklicher zu machen.
Außerdem bedeutet Synästhesie ja auch, die Welt anders zu erleben und immer auch mit der Verarbeitung dieser Eindrücke beschäftigt zu sein, die andere nicht wahrnehmen. Und das unterstützte meine Darstellung von Jacob als jemanden, der immer ein bisschen schief zur Welt steht, ein bisschen quer. Er lebt ja in einer Zeit, in der die Religionskriege, Katholizismus und Protestantismus sowie Glaubensfragen allgemein eine wichtige Rolle spielen. Doch Jacob interessiert das alles sehr wenig, er hat kaum eine Haltung dazu, abgesehen von der moderaten Beobachtung, dass die Verfechter beider Religionen nicht friedfertig sind. Er ist ziemlich monomanisch auf Sprachen fokussiert, und so einen in eine Sache vernarrten Passionierten darzustellen, hat mich sehr gereizt. Die Synästhesie unterstützt diese Darstellung insofern als sie bei Jacob stark in den Dienst seiner Sprachenleidenschaft gestellt ist.

Hat Ihr nächster Romanheld oder -heldin auch Synästhesien?

Lustig, dass Sie das fragen. Und es ist tatsächlich so! Zumindest nach dem momentanen Stand der Dinge sieht einer der Protagonisten meines zweiten, in Arbeit befindlichen Romans, Zahlen farbig und personifiziert sie auch. Das nennt man wohl Ordinal Linguistic Personification (OLP). Der Protagonist hat das ausschließlich bei den Zahlen 1 bis 9, also eine sehr viel zugespitztere Form der Synästhesie als Jacob. Und auch sie unterstützt, so hoffe ich, die Schilderung des Charakters und des Bewusstseins der betreffenden Figur.

Frau Kramer, vielen Dank fürs Interview!

Rezension und Interview: Matthias Waldeck



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