04
Okt
2018
11:30 AM

Die Deutsche Synästhesie-Gesellschaft trauert um Prof. Hinderk Emrich

DSG-Gründungs­mitglied Prof. Dr. med. Dr. Phil. Hinderk Emrich starb am 16.09.2018 im Alter von 75 Jahren.
Ein Nach­ruf von Dr. Markus Zedler.

Ein Nachruf für diesen großen Mann ist einfach und schwer zugleich. Über ihn gibt es so viel zu sagen, wie die Dialektik Hegels, sowohl als auch, sowohl aber auch. So vieles durfte sein, seine Leidenschaft war so spürbar das Menschliche und aber auch die Klugheit und die Kunst ihres Ausdrucks. Mit beidem war er satt gesegnet. Und er verbreitete sich unter uns. Er war präsent, physisch groß und unvergeßlich im Geiste.

Vielen hat er von sich gegeben, oft nicht verzehrfertige Lebensanleitungen; er verteilte von seinem Geist, damit man sich selbst im Leben bewähren konnte. Er war kein Bevormunder, und er freute sich an den Ideen anderer. Er vermarktete nicht sich selbst. Erfolge aus seinem Geiste hat er stets seinen Schülern zugeschrieben. An Fehlerkulturen hingegen beteiligte er sich ohne Berührungsängste. So war er. „Das ist doch egal,“ sagte er zu eitlen Sorgen, wenn z.B. andere sich seiner Ideen bedienten, oder sogar, „das ist doch schön.“
Für den Kopf der großen Zusammenhänge bekam oftmals auch das ganz Kleine seine wesentliche Bedeutung. Es gab von ihm immer Literatur-Hinweise: „Wenn Sie das jetzt so entscheiden möchten, dann lesen Sie aber erstmal…“ und dann kamen „Der Mann ohne Eigenschaften“ oder der „Wallenstein“ oder „Der zerbrochene Krug“ oder Dostojewski oder, oder, oder. Emrich bemühte sich immer, daß wir unseren Geist füllten. Er arbeitete und arbeitete. Und im Tagungshotel beim Frühstück schrieb er schon morgens mit einem Lamy-Füller an Manuskripten. Auf Arbeitstreffen leerte er Keks-Schalen und trank Kaffee, während er seine Zettel füllte. Er schrieb unterwegs auf allem, was verfügbar war, meist Briefumschläge aus seiner Post. Er veröffentlichte unzählige Bücher und Artikel, wobei er sich keinem Verlag exklusiv verkauft hätte. Und er beteiligte sich an unzähligen Büchern, Filmen und Inszenierungen anderer kluger Menschen mit seinen Ideen, seinem Geist.

Eine ganz wichtige Facette war in seinem wissenschaftlichen Leben die Beschäftigung mit der Synästhesie. An ihr zeichnete sich sein exakt naturwissenschaftliches Arbeiten in der Bewußtseinsforschung ab, das er wie kaum ein anderer mit seiner Expertise in den Geisteswissenschaften zu einem größeren Verständnis zusammenfügen konnte. Und er konnte seine Einsichten wie kaum ein anderer auch exakt vermitteln – und mit mehr als nur schnöden Daten als etwas Ganzes an uns weitergeben. Damit hat er nicht gegeizt. Emrich war ein bewundernswerter Versteher, aber er war sich nie zu schade, auch zu fragen und nötigenfalls nachzufragen. Ihm waren die Qualia bewußt, z.B. nicht genau wissen zu können, wie es ist, der andere zu sein, aber es fühlte sich oft so an, als sei er ganz nahe dran. Verstanden zu werden, ist ein viel formuliertes Bedürfnis in der Synästhesie, das nicht selten und mit Recht seine Geborgenheit in Hinderk Emrich fand.
Und wo die elaborierteste Sprache nicht ausreicht, konnte man ihn als Vermittler in der Kunst erleben mit seiner Begeisterung für die Kunst des Films, der Musik, des Schauspiels und der bildenden Kunst und natürlich vor allem in dem, was wir Beziehung nennen.
Und seine Kunst des Heilens wird von seinen zahlreichen Schülerinnen und Schülern weitergegeben. Hier hat er uns tief und umfassend geprägt. Er hat uns den Menschen gelehrt, den wir behandeln. Wir haben begriffen, besser verstehen zu wollen, wie es ist, krank zu sein. Was für ein Segen war seine Arbeit lange Zeit für die Psychiatrie! Auch wenn er z.B. aus den Theaterstücken der Engländerin Sarah Kane vorlas, die sich in ihrer Verzweiflung suizidiert hatte.

Als ich dem Ordinarius für Psychiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover, Herrn Prof. Dr. med. Dr. phil. Hinderk Emrich in einer unserer wöchentlichen Oberarztrunden vorschlug, einen Verein zu gründen (die Deutsche Synästhesie-Gesellschaft e.V.), um die Synästhesieforschung zu unterstützen (damals), war er sofort begeistert und förderte die Idee aus ganzer Überzeugung. Das war er: Ein Beseeler. Dabei ging es ihm nicht um sich selbst, sondern um die Freude daran, Menschen und Ideen mit seiner Energie zu fördern und ihnen Leben zu geben. So war klar, daß er in den ersten Jahren immer tatkräftig im Verein dabei war, aber auch, daß die Arbeit und deren Erfolg den Synästhetikerinnen und Synästhetikern selbst gehörte. Und man kann sich auch denken, daß es nicht sein einziges Vereinsleben war…
Er hat sich nie am Erfolg bedient, sondern ihn stets verteilt. Uns bleibt so wunderbar vieles von ihm in Erinnerung. HME (Hinderk Meiners Emrich) ließ sich nicht auf einen Punkt reduzieren. Es gab meistens zumindest ein Ja und ein Nein, Hegels Dialektik wurde von ihm regelmäßig zitiert, ja gelebt, von dem promovierten lehrenden Philosophen HME: Es ist so, aber es ist auch anders. Und neben allem war ihm wiederum immer wichtig: Aber ein Ja ist ein Ja, und ein Nein ist ein Nein. Emrich war konsequent, aber immer Mensch, wenn er Menschen begegnete. Menschen fühlten sich wohl in seinem verschwenderisch liebenden Wesen. Er nahm uns in seine weiten Arme, oftmals nicht nur im geistigen Sinne, sondern auch ganz konkret. Und ihm war das akademische Leben mit seinen Konventionen wichtig, und er hat auch diese Lebensform vollkommen parkettsicher ausgefüllt. Er beherrschte die Formen und den Anstand, gehörte mit Schneid zu den Ordinarien, denen Vielschichtigkeit nicht nur etwas bedeutet hat; sondern er hat den Pluralismus studiert, gelebt und weiterverbreitet. Er war ein Heilmittel gegen den Hyperreduktionismus der modernen Wissenschaften.

Eine Biographie dieses Mannes ist unbedingt notwendig; und sie wird umfangreich werden. Wer ihn kannte, wird immer wieder etwas an ihm finden, wovon man noch gar nichts gewußt hatte. Der Physiologe, Arzt, Psychiater, Psychoanalytiker, Philosoph, Filmkunst-Professor u.v.m. nahm an der Welt teil. Und er war in der Welt gefragt. Er beriet nicht nur in der Medizin und der Filmkunst. Prominente Persönlichkeiten wählten ihn sich als Therapeuten, gingen mit ihm psychoanalytische Beziehungen ein. In Entscheidungsprozessen auf der ganzen Welt ließ er sich um seine Hilfe nicht lange bitten, zum Beispiel nicht zuletzt auch im jüdischen Israel.
Er war ein leidenschaftlicher Ästhet mit Langeweile am Makellosen. Er war bei aller seiner Klugheit, die einem Laien manchmal hätte nicht von dieser Welt scheinen können, umwerfend authentisch. Und er war ein Christ. Auch zur Zeit und zur Vergänglichkeit hat er sich nicht gescheut, philosophisch zu arbeiten. Kaum ein Tag vergeht, an dem er einem nicht in den Sinn kommt, wenn einem einfällt, was er gesagt hat, und man ihn mit Lust zitiert. Sein Tod ist ein fürchterlicher Verlust. Hinderk Emrich. Was für ein großer Geist!



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