06
Feb
2020
18:53 PM

Bericht von der Internationalen Synästhesiekonferenz in Moskau (2)

Vom 16.– 20.Oktober 2019 fand in Moskau das Symposium „Cross-sensory Aspects of Cognition across Science and Art“ statt. Diesmal erzählt DSG-Mitglied Jasmin Sinha, was sie aus Moskau mitgenommen hat:

Auf der meines Wissens bisher größten Synästhesie-Konferenz in Moskau 2019 waren viele wichtige Vertreter aus der Synästhesieforschung anwesend. Den Eröffnungsvortrag hielt der berühmte Richard Cytowic. Er ging auf den gegenwärtigen Wissensstand zur Synästhesie ein: Was wissen wir? Was wollen wir wissen?

Weitere Themen, die in den Vorträgen zur Sprache kamen, waren u.a. „Extreme Synästhesien“ (Jamie Ward), „Mirror-Sensory-Synästhesien“ (Michael Banissy), Ideasthesie (Danko Nikolic) und Quantifizierung von Synästhesie (Anton Dorso). Das komplette Programm ist auf der Homepage der Konferenz nachzulesen.

Besonders beeindruckt hat mich der Vortrag von Carolyn C. Hart und Lidell Simp­son. Beide betreiben den Fechtsport, und beide haben für die Bewegungen und Abläufe, die bei diesem Sport ausgeführt werden, synästhetische Entsprechungen. Am Fuße der Golden Gate Bridge haben sie ein Fechtduell gefilmt und nachträglich im Video kenntlich gemacht, wie sich dieselbe Fechtbewegung des Gegners für Lidells synästhetisches Gehör durch ein Geräusch und für Carolyn als Mirror-Sensing-Farbempfindung an ganz bestimmten Körperstellen im Voraus ankündigt.

Heather Aldrige arbeitet als Drehbuchautorin an der amerikanischen Westküste. Sie benutzt beim Schreiben ihre Synästhesien als Werkzeug: Jeder Charakter oder jeder Handlungsfaden erhält seine eigene Musik und Farbe, die sich FÜR SIE durch das Drehbuch ziehen. Das Geschriebene muss dieser Musik oder Farbe entsprechen, um stimmig zu sein.

Mein eigener Vortrag hatte ebenfalls das Schreiben zum Thema: Ich arbeite gerade an einem Roman (momentan in der Korrekturphase). Während der Überarbeitung des Manuskripts habe ich zu meiner Überraschung entdeckt, dass sich die einzelnen Buchkapitel synästhetisch manifestieren, als bunte Segmente, die sich aneinanderreihen. Das Erscheinungsbild jedes einzelnen Segments ermöglicht eine eindeutige Entscheidung, welche Textpassagen gestrichen oder überarbeitet werden müssen und welche ich abhaken darf.

Die Kapitel meines Buches reihen sich als bunte Segmente aneinander

Ein absoluter Höhepunkt stellte der Besuch des Skriabin-Museums in Moskau dar. Es befindet sich in einem unauffälligen Wohnhaus in einem normalen Wohnviertel, in den Räumlichkeiten von Skriabins ehemaliger Wohnung. Diese sind historisch möbliert, mit Musikgeschichte aufgeladen und vermitteln ein äußerst authentisches Bild von Skriabin und seinem Schaffen. Sogar der Nachbau einer Lichtorgel ist dort zu finden. Während Skriabin Klavier spielte, hat seine Lebensgefährtin Tatjana de Schloezer die Lichtorgel bedient.

Nachbau der Skriabin-Lichtorgel

Wir hatten das Ausnahmeglück, von einem kenntnisreichen Museumsmitarbeiter eine persönliche Führung durch die Räumlichkeiten zu erhalten. Er freute sich sichtlich über unser Interesse und unsere vielen Fragen, und er nahm mit großem Interesse zur Kenntnis, dass wir über Synästhesie Bescheid wussten. Tief beeindruckt verließen wir das Museum mit dem Eindruck, durch diese „Privatführung“ eine Vorzugsbehandlung genossen zu haben, die man normalerweise nicht erfährt.

Jasmin Sinha


Beitragsbild: yurchin / pixabay
Alle weiteren Bilder: Jasmin Sinha



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